Einleitung
Immer mehr Menschen machen von ihrem Recht Gebrauch, im Internet Meinungen zu äußern – auch anonym. Bewertungsplattformen für Arbeitgeber, soziale Netzwerke oder Kommentarspalten sind zentrale Orte für digitale Kommunikation. Doch was, wenn diese Aussagen nicht nur kritisch, sondern rufschädigend, beleidigend oder schlicht unwahr sind?
Für Unternehmen wie für Privatpersonen stellt sich in solchen Fällen die Frage, wie sie gegen solche Übergriffe vorgehen können – insbesondere, wenn die Urheber sich hinter anonymen Nutzerkonten verbergen. Ein neuer Beschluss des Landgerichts München I zeigt auf, wie die Rechtsverfolgung durch einen Auskunftsanspruch gegen E-Mail-Diensteanbieter ermöglicht werden kann.
Urteil zu anonymen Rechtsverletzungen im Internet
Im Zentrum des Verfahrens stand ein Unternehmen, das sich gegen anonyme Äußerungen auf einer Arbeitgeber-Bewertungsplattform zur Wehr setzen wollte. Die Aussagen stammten mutmaßlich von ehemaligen Mitarbeitern und enthielten nach Darstellung des Unternehmens falsche Tatsachenbehauptungen, die den Tatbestand der rufschädigenden Deliktsäußerung erfüllten.
Da die Plattformbetreiber keine Klarnamen oder IP-Adressen der Nutzer vorhielten, sondern lediglich deren E-Mail-Adressen, wandte sich das Unternehmen an den jeweiligen E-Mail-Dienstanbieter. Auf Grundlage des § 21 Abs. 2 TDDDG verlangte es Auskunft über die Bestandsdaten der dort geführten E-Mail-Konten. Ziel war es, den oder die Urheber der Äußerungen zivilrechtlich in Anspruch nehmen zu können. Das Landgericht München I gab diesem Antrag statt.
Was regelt § 21 Abs. 2 TDDDG?
Der § 21 Abs. 2 des Telekommunikation-Digitale-Dienste-Datenschutz-Gesetzes (TDDDG) normiert einen Auskunftsanspruch für Betroffene, um zivilrechtliche Ansprüche wegen bestimmter rechtswidriger Inhalte durchsetzen zu können. Voraussetzung dafür ist, dass es sich bei den beanstandeten Inhalten um solche handelt, die:
- entweder absolut geschützte Rechte (z. B. Persönlichkeitsrecht, Unternehmenspersönlichkeitsrecht) verletzen,
- oder einen der in § 21 Abs. 2 Satz 1 genannten Straftatbestände erfüllen,
- und dass die Inhalte nicht gerechtfertigt sind.
In diesem Fall verpflichtete das Gericht den E-Mail-Diensteanbieter, die gespeicherten Bestandsdaten (z. B. Name, Adresse, Geburtsdatum) herauszugeben, sofern diese vorhanden sind.
E-Mail-Anbieter sind „Anbieter digitaler Dienste“
Das Gericht klärte eingangs, dass E-Mail-Anbieter klar unter den Begriff der „Anbieter digitaler Dienste“ im Sinne des TDDDG fallen. Eine ausschließliche Regelungskompetenz des Telekommunikationsgesetzes (TKG) verneinte das Gericht mit deutlichen Worten: Während das TKG dem Kundenschutz und der Marktaufsicht diene, schaffe das TDDDG eine eigene Anspruchsgrundlage, die auf zivilrechtliche Durchsetzungsmöglichkeiten ziele.
Keine inhaltliche Verbindung zum E-Mail-Dienst erforderlich
Ein zentraler Punkt der Argumentation: Es sei nicht erforderlich, dass die beanstandete Äußerung über den E-Mail-Dienst selbst verbreitet wurde. Entscheidend sei, dass die E-Mail-Adresse das einzig verbleibende verbindende Element sei, über das die Person identifiziert werden könne.
Das Gericht argumentierte praxisnah:
Das Gericht geht vielmehr davon aus, dass der Gesetzgeber ganz bewusst gerade keine solche Verbindung aufgenommen hat. Denn Sinn und Zweck des Auskunftsanspruchs ist es, dem Anspruchsteller eine effektive Möglichkeit zur Verfolgung seiner zivilrechtlichen Ansprüche zu schaffen. Es ist aber allgemein bekannt, dass viele Plattformen, auf denen rechtsverletzende Äußerungen getätigt werden, nur rudimentäre Nutzungsdaten erheben, vorrangig mit dem Argument, den Nutzern müsse eine anonyme Äußerung ermöglicht werden. Wollte man, wie die Beteiligte, davon ausgehen, ein Anspruch bestehe nur bei einer Verbindung zwischen Äußerung und Dienst, wäre der Anspruch aus § 21 TDDDG aber regelmäßig wertlos, weil als Nutzerdaten häufig (ganz bewusst) nur Fantasie-Daten hinterlegt sind und einziges weiteres hinterlegte Detail eine zumeist zur Authentifizierung verwendete E-Mail-Adresse ist. Der Verletzte würde also in den meisten Fällen für ihn nutzlose Daten erhalten, die ihm eine Verfolgung seiner Ansprüche gerade nicht ermöglichen. Für eine effektive Verfolgung muss es dem Verletzen daher möglich sein, die Datenkette bis zu ihrem Ursprung zurückzuverfolgen und die erforderlichen Daten auch von Anbietern zu verlagern, bei denen die maßgeblichen Inhalte nicht unmittelbar verbreitet wurden.
Das bedeutet: Der Auskunftsanspruch gem. § 21 TDDDG greift auch dann, wenn der Diensteanbieter die rechtsverletzende Äußerung selbst nicht verbreitet hat.
Bedeutung für Unternehmen
Die Entscheidung des LG München I stärkt die Rechte all jener, die von anonymen, rufschädigenden oder rechtswidrigen Inhalten im Netz betroffen sind. Gerade für Unternehmen, Öffentlichkeitspersonen oder Opfer von Online-Mobbing bedeutet der Beschluss eine erhebliche Verbesserung ihrer Rechtsschutzmöglichkeiten.
Ihre Möglichkeiten bei anonymen Rechtsverletzungen:
- Sichern Sie Beweise, z. B. Screenshots der Äußerungen.
- Ermitteln Sie die Plattform, auf der die Inhalte veröffentlicht wurden.
- Prüfen Sie, welche Daten der Plattformbetreiber speichert (z. B. E-Mail-Adresse).
- Beantragen Sie beim zuständigen Zivilgericht die Auskunft nach § 21 Abs. 2 TDDDG gegen den Dienstanbieter.
Die Auskunft muss sich ausschließlich auf Bestandsdaten beziehen – Nutzungsdaten, wie IP-Adressen, sind hiervon nicht erfasst.
Datenschutzrechtlicher Kontext zum TDDDG
Kritiker werfen ein, dass eine solche Datenweitergabe mit der DSGVO kollidieren könnte. Doch hier gibt es Entwarnung. Nach Art. 6 Abs. 4 i. V. m. Art. 23 Abs. 1 DSGVO sind nationale Regelungen zulässig, die den Schutz von Rechten anderer Personen und die Durchsetzung von Zivilansprüchen sicherstellen. Die Vorschrift des § 21 TDDDG dient also einem legitimen Zweck, der mit dem Datenschutzrecht vereinbar ist.
Eine Zweckänderung liegt nicht vor, da die Daten von vornherein zur Authentifizierung und Kontaktaufnahme gespeichert wurden – und nun im Rahmen eines gesetzlich vorgesehenen Verfahrens verwendet werden.
Die Entscheidung des LG München I reiht sich in eine wachsende Zahl von Urteilen ein, die dem Schutz von Persönlichkeitsrechten im digitalen Raum höhere Priorität einräumen:
- OLG Schleswig (Beschluss v. 23.2.2022, Az. 9 Wx 23/21): Auskunftspflicht von Instagram gegenüber Opfern von Hassrede.
- BVerfG „Künast-Urteil“ (19.12.2021, Az. 1 BvR 1073/20): Klarstellung der Voraussetzungen für die Herausgabe von Nutzerdaten bei ehrverletzenden Beiträgen.
Diese Entscheidungen trugen wesentlich dazu bei, dass der Gesetzgeber § 21 TDDDG überhaupt geschaffen hat – um Betroffenen eine effektivere Rechtsdurchsetzung zu ermöglichen.
Fazit
Mit seinem Beschluss vom Februar 2025 setzt das LG München I ein starkes Zeichen: Anonymität im Internet darf kein Freifahrtschein für Rechtsverletzungen sein. Der Auskunftsanspruch nach § 21 TDDDG gibt Betroffenen ein wirkungsvolles Instrument an die Hand, um sich gegen rufschädigende oder rechtswidrige Inhalte zu wehren – auch dann, wenn die eigentliche Plattform keine ausreichenden Daten speichert.
Wer sich mit falschen oder ehrverletzenden Äußerungen im Netz konfrontiert sieht, sollte daher nicht zögern, rechtliche Schritte zu prüfen. Die Möglichkeiten zur Identifikation der Verursacher sind vielfältiger, als es auf den ersten Blick scheint.